... wie die Alpen? Himalaja und Mariannengraben treffen es eher.
Ich habe noch keine gleichzeitig so schöne und so schlimme Zeit erlebt. Es ist wie bei einer Katastrophe, die Menschen rücken näher zusammen und meine Familie war dieses Wunder und die gute Zeit. Die Wochenbettstation war die andere Hälfte.
Zunächst möchte ich sagen, dass ich den Schwestern persönlich wenig übel nehme und primär das System und die Krankenhausleitung dafür verantwortlich zeichne. Dennoch kann ich nicht umhin diese Zeit ohne Vorwürfe zu schildern.
Das Schlimmste kam zu Anfang.
Gegen 22 Uhr musste auch Jörn das Krankenhaus verlassen. Ich dämmerte unter Schmerzmitteln vor mich hin und wenn sie nach ließen erwachte ich, unbeweglich durch Narbe und Katheter, und litt bis die nächste Tablette wirkte. Ich versuchte in den Wachphasen (auch unter Schmerzen) anhand eines Anleitungszettels und zwischendurch zugeworfener Anweisungen meine Brust auszustreichen und zur Milchproduktion an zu regen. Ich schickte Spritzen mit 1ml Milch nach unten auf die Kinderstation und hatte so das Gefühl meinem Sohn wenigstens etwas zu geben.
Hustenanfälle mit einer frischen Kaiserschnittnarbe sind die schlimmsten Schmerzen, die ich je erlebt habe!
Gegen 3 oder 4 Uhr erkundigte ich mich bei der Nachtschwester, von der ich gerade neue Medikamente erhalten hatte, wie es damit aussähe mich zu Hagen runterbringen zu können. Ihre Antwort war ein anfahren: "Ich kann mich ja nicht nur um sie kümmern!"
Das ließ mich so verstört zurück, dass ich mich bis sich um 6 die Frühschicht vorstellte nicht mehr meldete. Ich bat darum einen Aufstehversuch machen zu dürfen um den Katheter los zu werden und nun endlich zu Hagen zu kommen. Sie sagten sie würden fix ihre Morgenrunde machen um dann in Ruhe mit mir den Aufstehversuch durchzuführen.
Um 7 kam meine Mutter. (Jörn war total erkältet und musste sich dringend ausschlafen.) Um 8 nötigte meine Mutter eine Schwester zumindest mal meinen Katheter zu leeren. Die meinte lässig, das verursache keine Harnwehsentzündung wenn der voll wäre. Ich schoss zurück das es aber Schmerzen verursache. Um 9 erst kamen die Schwestern wegen des Aufstehens zu mir. Sie bestanden darauf das ich über die Seitenlage hoch käme, was mich aber vor Schmerzen fast ohnmächtig werden ließ.
Ich brach in Tränen aus, ich wollte zu Hagen. Spätestens jetzt kam die klare Aufforderung, 'dann bringen sie mich eben mit dem Bett runter!' Ich war schockiert als die Schwester mit Ausflüchten anfing, sie wisse nicht ob unten in der Kinderstation genug Platz sei und man müsse ersteinmal das Personal dafür auftreiben.
Von wegen ich könne jederzeit zu meinem Kind, ich müsse es nur sagen... Aussage der entbindenden Hebamme.
Meine Mutter reagierte entrüstet. Sie wäre mit meiner Vollmacht schon mehrere Male unten gewesen und der Platz sei da. Damit, sie müsse unten anrufen, stahl sich die Schwester aus meinem Zimmer. Dann hörte ich nichts mehr von ihr. Wir fragten nach, ich wurde zusehenst unruhiger. Gegen 12 war ich das reinste Nervenbündel und am heulen. Nachfragen ergaben nur vertrösten.
Meine Mutter schnappte sich irgendwann eigenmächtig den Pflegeschüler, der das Mittagsgeschirr abräumte, fragte unten kurz nach und fuhr mich mit ihm runter. 28.09.2015, ca. 14 Uhr. Circa 20 Stunden nachdem er mir mit dem Worten ich könne ihn jederzeit wieder sehen weggenommen worden war sah ich endlich Hagen wieder.
Unten meinten sie sie hätten genug Hebammenschüler auf der Station die mich holen können, man müsste nur kurz anrufen... so viel dazu die Wochenbettstation fragt mal nach und ruft kurz an.
Diese 20 Stunden, diese Fehlaussage... dieses Wissen, dass die Hebamme heute wahrscheinlich auch Müttern mit diesem Versprechen ihr Kind abnimmt und die dann das gleiche mitmachen, macht mich bis heute fertig. Es hat einen tiefen knick in meinem Vertrauen zu Ärzten und erweitertem medizinischen Personal hinterlassen der mich noch lange begleiten wird; Diese 20 Stunden, um die ich mich schmerzlich betrogen fühle, wahrscheinlich den rest meines Lebens.
Er lag auf der 60, der Kinderstation, nicht der 62, Kinderintensiv. Er hatte ein Wärmebett, einen Zugang in einer Hand und Monitorkontrollkabel auf die Brust geklebt. Ich wusste gar nicht wie ich ihn anfassen sollte und hatte Angst ihm weh zu tun. Das Gefühl ihn zu halten war einfach nur schön.
Später, gegen 16 Uhr ersuchte ich noch einmal aufzustehen. Dies mal nur mit einer Schwesternschülerin, die es mir überließ wir ich hochkommen wollte und nur wenn nötig Hilfestellung gab. Binnen kürzester Zeit stand ich aufrecht, konnte ein paar Schritte gehen und mich in einen Rollstuhl setzen. Von da an brachten mich Jörn, der als es ihm besser ging nachgekommen war, und meine Ma abwechselnd runter.
Als am Nachmittag mein Katheter wieder zu 3/4 voll war sagten wir bescheid. Wieder wurde rumgepampt das habe doch keine Eile, als er endlich geleert wurde war er wieder bis zum Anschlag voll. Diese Sache beschreibt irgendwie perfekt wie es auf der Wochenbettstation zu ging. Erst wurde man vergessen, dann musste man selbständig hinterher rennen, was genervte Schwestern verursachte und wenn sich dann gekümmert wurde geschah das aber wenigstens gut und fachgerecht.
Am Dienstag Morgen bekam ich eine Zimmernachbarin. Ich malte mir nur aus was für eine schreckliche Zimmernachbarin ich ihr wäre. Alle 4 Stunden wach vor Schmerzen, wachphasen mitten in der Nacht usw. Ein Glück kam es nicht dazu. Ich wurde meinen Katheter los und mein ständiges nerven und an ein Familienzimmer zu erinnern hatte Erfolg. Jörn kam dazu und damit wuchs meine Mobilität enorm.
Hagen hatte am Morgen eine Sonde bekommen, da er nicht gut gegessen hatte. Ich glaubte es lag daran,dass derjenige der ihn morgens gefüttert hatte keine Geduld gehabt hätte und zu früh Schluss machte. Wir behielten recht damit. Er aß gut und da ich nun auch die Milchpumpen nutzen konnte bekam er mehr und mehr von mir. Wir fuhren zu jeder Fütterungszeit runter, wir kümmerten uns so gut wir konnten. In der Nacht bewies er das er Jörns Sohn ist, nahm die Dinge selbst in die Hand und zog sich selbst die Sonde. Er aß gut, hielt seine Temperatur und seine Zuckerwerte stabilisierten sich. Der Zugang konnte weg und wir waren überglücklich als wir ihn Mittwoch Abend zu uns aufs Zimmer holen konnten.
Ich packte mein endlich kabelloses Baby aus, mich auch, und verbrachte ein paar der glücklichsten Stunden meines Lebens mit meinem Kind auf der Brust und meinem Mann neben mir. In der Nacht bekam ich auch plötzlich meinen Milcheinschuss und hatte ich noch zuvor die Schwestern mit Fragen nach der besten Milchnahrung genervt war diese Sorge nun gegenstandslos.
Leider endeten mit diesem schönen Moment die doofen nicht. Waren auf der Kreißsaalstation Tee, Milch und Obst immer vorhanden war sogar Wasser hier eine Mangelware. Auch nach Tagen, ständigem Kümmelteetrinkens und Abblähmedikamenten war mein Bauch immer noch der reinste Luftballon. Erst Zuhause, durch den Tipp meiner Hebamme mich mal aus dem Vierfüsslerstand auf den Bauch zu legen bildete der sich zurück. Auf Station bekam ich immer nur ratlose Gesichter und Schulterzucken.
Jörns Bitte um ein 2. Kissen, da er extreme Rückenschmerzen durch das Krankenhausbett hatte hat 1,5 Tage gedauert um ihr nach zu kommen. Es gab Tage an denen die Mülleimer nicht geleert wurden und so brachten irgendwann mein Mann und meine Mutter selbständig die 3 1,20m hohen, total überfüllten Eimer vors Schwesternzimmer und bekamen einen Ort zugewiesen wo die geleert werden konnten. Die Reinigungskräfte hatten unser Zimmer einfach vergessen/übergangen/übersehen.
Dann bekam Hagen auch noch Gelbsucht und wir mussten einen Tag länger bleiben, damit er 2x 6 Stunden bestrahlt werden konnte. Nach zweimaligem zeigen konnten wir ihn selbst in dem Kasten wickeln und mit abgepumpter Milch füttern. Die Schwestern waren dankbar, dass wir ihn dort so gut und selbständig versorgen konnten... und vergaßen uns promt wieder. Hatten sie uns vorher eingeimpft wie wichtig die Einhaltung der Zeiten wäre, 6 Stunden bestrahlen, 2 Stunden Pause, dann wieder 6 Stunden bestrahlen und schlussendlich ein Bluttest, mussten wir plötzlich doch wieder hinter allem hinterher rennen und wurden jedes mal gerügt, was uns denn einfiele, sie hätten uns schon nicht vergessen und auf 45 Minuten käme es ja nicht an... Nur wenn wir nicht nachfragten passierte auch nichts. Und wenn man mal nachrrechnet, dauert die ganze Prozedur mindestens 14 Stunden und wir wollten nicht noch einen Tag bleiben müssen, da die Ärzte ab einer bestimmten Nachtzeit den Bluttest auf den nächsten Tag verschieben würden.
Kein Krankenhausaufenthalt löst bei mir im Nachhinein noch so viele Ängste aus wie dieser. Eingeschlossen derer bei denen mir ein Arzt solches Nasenbluten verpasste, dass ich aussah wie ein Schwerstunfall oder der wo eine Oma im Bett neben mir fast verendete, um Hilfe rief oder schmatzte, dass ich selbst mit verstopften Ohren nicht schlafen konnte.
Wenn ich es vermeiden kann werde ich nie, nie wieder ins Vivantes Neukölln gehen. Der einzige Grund wäre wenn es medizinisch notwendig ist, denn fachlich leisten sie gute Arbeit. Wäre da nur nicht das die Patienten auch noch Menschen wären mit weiteren Bedürfnissen als der direkten medizinischen Betreuung. Selbstverständlich wurden auch sämtliche Papiere vergessen. Arztberichte und Ähnliches habe ich nicht bekommen, die Frühchenbescheinigung konnte ich ein Glück per Post noch zugeschickt bekommen.
Um nicht wahnsinnig zu werden habe ich mich im Krankenhaus damit beschäftigt mir Blogeinträge über die ganzen schönen Kleinigkeiten auszumalen. Wie die ersten Milliliter Milch kamen. Hagens Engelslächeln. Vanillehörnchen und Kekse, die meine Schwester mir mitgebracht hatte und die mir das Leben retteten als ich bei lebendigem Leib ausgesaugt wurde. ;) Meine Mutter, die uns als wir wegen Hagens Gelbsucht einen Tag länger bleiben mussten und das Krankenhausessen satt hatten, uns mit einer Käseplatte und Erdbeeren überraschte. Mein Vater, der sich zuverlässig Zuhause um unsere Katzen kümmerte und uns ihre lustigen Geschichten zukommen ließ... Mein Schwager der dafür sorgte das ich online gehen konnte und so den Kontakt zur Aussenwelt hatte... Jetzt weiß ich leider gar nicht mehr alle, aber sie hinterlassen bei alldem ein schön warmes Gefühl.
Als wir Samstag endlich gehen konnten verließen wir regelrecht fluchtartig das Krankenhaus.
Meine Eltern begrüßten uns feierlich mit dekoriertem Haus. Meine Schwester, die extra für einen Tag vorbei gekommen war, half uns am Sonntag an zu kommen. Meine Hebamme, die selbst im Krankenhaus lag, gab mir gute Tipps per SMS. Und als ich mit Jörn noch Sonntag Nacht als Notfall ins St. Joseph fuhr, die mich wegen meiner immer noch übermäßigen Bauchschmerzen und meines massiv hohen Blutdrucks durchcheckten und endlich fachgerecht berieten kam ich wirklich Zuhause an.
...
Heute sind auf den Tag genau 4 Monate vergangen. Ich bin wieder in einem Krankenhaus, der St. Elisabeth Klinik in Tiergarten. (Keine Sorge, nichts ernstes, Hagen werden nur viele seiner gut 100 Blutschwämmchen entfernt.) Hier erleben wir das eine Klinik, auch mit Personalmangel, ganz anders sein kann. Wir sind immer gut informiert, regelmäßig guckt man nach uns und hat für alles ein offenes Ohr. Ich habe diesen Blogeintrag jetzt fertig geschrieben und wenn ich meine Kritik bei der Beschwerdestelle vom Vivantes Neukölln abgegeben habe werde ich vieles davon hoffentlich abhaken können.
Jetzt geht es weiter zu schöneren Zeiten.
Unser Kleiner lacht und wenn seine Augen blitzen geht für mich die Sonne auf. Ja, mal bin ich genervt, mal habe ich Schlafmangel und mal möchte ich etwas anderes tun als schon wieder zu wickeln, zu wiegen oder zu stillen, doch ich möchte es um nichts in der Welt eintauschen.
Hagen, du bist das alles wert und noch viel mehr. Ich liebe dich!